Rund England 1995

Reisebericht Berlin - Rund - England - Berlin
vom 24.6 bis 23.7.1995, 2539 sm Segeln pur


Die Ostsee haben wir bereist, bis nach Leningrad, was bleibt zu tun, die nördliche Ostsee, die Nordsee?
Die Cartoons von Pyton lassen da eigentlich keine Wahl. Alles was dort karikiert ist, hat man erlebt bis auf... ja bis auf die Tide. Also auf nach England und mitten in die Tidengewässer.

Die Planung begann 1994 nach einem Norwegentörn, der uns bis zum Sogneyfjord führte.

Kartenstudium, Wetter- und Strominformationen wurden gesammelt, andere Sportfreunde konsultiert. Es müßte machbar sein. Ein Problem war die Zeit, Egon konnte nur 4 Wochen Urlaub bekommen. Ein Strecken-Zeitplan klärte zumindest theoretisch auch dies.

Stepps von 50 bis 130 Seemeilen und maximal alle 3 bis 4 Tage ein Reservetag brachten die Lösung. Wir hatten es verkündet, nun wollten wir es uns selbst beweisen. Karten, Seehandbücher, Sicherheitsausrüstung, Technikcheck, Planung und Kauf der Verpflegung ... einiges war zu erledigen.

Vom Freitag den 23.6. bis Sonntag den 25.6. brachte ich Einhand das Schiff von Berlin nach Saßnitz. Am Donnerstag nach Feierabend bis nach Hennigsdorf, Freitag nach Feierabend bis nach Hohensaaten. Sonnabendmittags erreichte ich Szczecin. Maststellen mit "Totem Mann", notdürftige Abstagung des Mastes und schon ging es zunächst unter Motor und Selbststeueranlage weiter. Ausgang Dabisee stand das Geschleuder, so daß auf dem Haff schon gesegelt werden konnte. Die Kaiserfahrt natürlich unter Motor. Sonnabend 2300 Uhr ausklarieren in Swinoujscie. Mit SE auffrischend bis zu 12 m/s erreichte ich Saßnitz gegen 0700 Uhr. Anbinden, Schlafen, Aufklaren und Heimreise waren am Sonntag gegen 2200 Uhr erledigt, so daß die Arbeit am Montag nicht zu kurz kam.

Am Freitag den 23.6. 2300 Uhr wurde es dann ernst. Abfahrt mit dem Zug Richtung Saßnitz. 0400 Uhr Ankunft und Ablegen waren Eins. Vor uns lagen 140 sm bis Kiel-Holtenau, die wir spätestens bis Sonntag 1100 Uhr abspulen mußten, um den NO-Kanal bis 2200 Uhr zu passieren. Für Montag 0100 Uhr war geplant mit auslaufendem Strom in Brunsbüttel Richtung Helgoland auszulaufen. Dieser Part klappte bilderbuchmäßig.

Ob das so weitergeht...?

Helgoland erreichten wir gegen 1030 Uhr. Bis 1 sm vor Helgoland Kaiserwetter, dann so dicker Nebel, daß wir die Hafeneinfahrt nur mit GPS finden konnten. Schiffsausrüster, Duschen, Inselrundgang, Bunkern und Knieper-Essen satt +2 Malteser waren die nächsten Programmpunkte. 2130 Uhr legen wir bei Potte-Nebel ab. Um uns herum funkten einige Mayday. Der Nebel und die Bänke fordern ihre Opfer. Wir wenden uns nach Nordwesten, dort liegen keine Bänke und die nächste Schifffahrtsroute liegt weit entfernt. 4 Tage auf See liegen vor uns. Der Wind wechselt in Stärke und Richtung, aber nie gegen uns. Anlieger und Raum spulen wir die 380 sm nach Aberdeen ab, ca. einen Tag müssen wir wegen Windmangel motoren. Dies deswegen, weil 2 Mitglieder der Crew (Rölli und Norbert) in Aberdeen den Rückflug nach Berlin gebucht haben und Umbuchungen teuer werden können. Vor Aberdeen sichten wir große Delphine. Sie spielen, sind mit sich selbst beschäftigt. Aberdeen erreichen wir am Freitag den 30.6. gegen 1500 Uhr. Der Empfang im Port sehr freundlich, die Schotten zeigen bei jeder Gelegenheit mit dem Daumen nach oben, ein positiv eingestelltes Völkchen! Am 1.7. reisen unsere „Passenger“ morgens ab. Nochmalige Stadtbesichtigung, Besichtigung eines Dreimasters und der englischen Whitbread-Yacht, dann Diesel bunkern aus einem 20.000 l LKW, die Tülle ist zu groß, das geht nur über den Trichter. 12.30 Uhr Auslaufen in Richtung Inverness. Der Wind treibt uns mit 5 bis 6 Knoten vor sich her. Vor dem Wind treibt jedes Bund Stroh. Gegen Mitternacht dreht der Wind auf NW, genau gegen uns. Laufen nach Norden, um bei durchgehen der Front mit Schrick in den Schooten nach Inverness laufen zu können. Gegen Morgen legt der Wind auf 6 Bft zu, so daß wir unter Fock und 2. Reff im Groß wieder gut auf Ruder liegen. Mit Durchgang der Front dreht der Wind auf N und läßt nach, Groß wird ausgeschüttet. An Fort George vorbei laufen wir auf Inverness zu. Wir erwischen noch vor 1600 Uhr Ortszeit die ersten beiden Schleusen und machen in der Muirtown Marina fest. Geschleust wird von 08.00 bis 18.00 Uhr. Vor uns liegt die Muirtown-Brücke und Schleusentreppe mit 5 Stufen. Das Programm für den nächsten Tag. Doch zunächst geht es nach Inverness hinein. Ein angenehmes Städchen mit schöner Silhouette, Schloß und Prachtstraße im Zentrum. Ein Whisky + Bier in einem Pub runden den Eindruck angenehm ab. Montag den 3.7. geht es schleusen-aufwärts. Achtung, hinter den Schleusen letzte Tankstelle! Es folgt ein malerischer Kanalverlauf mit einfamilienhaus-großen Rhododendren-Büschen.

In voller Blütenpracht war der Anblick überwältigend. Nach einer weiteren Brücke und Schleuse gelangt man auf Loch Ness. Ein von bewaldeten Gebirgen eingefasster ca. 30 km langer und 3 km breiter See. Von Nessi keine Spur, der Werbegag hat scheinbar erhebliche wirtschaftliche Bedeutung und muß am Leben gehalten werden.
Am Ausgang von Loch Ness liegt Fort Augustus. Die dort gelegene Schleusentreppe bewältigen wir noch, dann ist vor Schleuse Kytra Feierabend. Die Schleusenwärter machen keine Überstunden. Ein Abendspaziergang zur Cullochy-Schleuse rundet den Abend ab und schafft die nötige Bettschwere. Am nächsten Tag geht es über Loch Oich, Loch Lochy und die dazugehörigen Schleusen bis zur neunstufigen Neptuns Schleusentreppe. Sie bewältigen wir noch, doch dann ist wieder Feierabend. Vor uns liegen noch die zwei Schleusen von Corpach und die Seeschleuse auf das Loch Eil.

Mittwoch, 5.7.. Wir liegen 2 Tage gegen die Planung zurück, von Panik trotzdem keine Spur! Es regnet, ist neblig und der Wind steht genau gegenan. 18 m/s (8 Bft) zwingen uns 2 Großreffs auf und auf die Sturmfock zu wechseln. Nach 43 sm erreichen wir Oban, beschließen wegen des Wetters in Oban zu übernachten. Eine Stadtbesichtigung bei Nebel und Nieselregen lässt keine rechte Stimmung aufkommen. Donnerstag, 6.7., legen früh ab, der Wind läßt wieder Groß und Genua zu. Passieren in der Nacht Port Ellen, lassen es aber aus wegen des Zeitrückstands und weil gerade Ebbe im Hafen ist. Peilen als nächsten Hafen Port Patrick an. Ein super Städtchen, Hafen tidensicher.

Bei starken Westwinden wegen des zu erwartenden Schwells vor der schmalen Einfahrt wahrscheinlich nicht zu nutzen. Diesel an der 100 m vom Hafen gelegenen Tankstelle im ausleihbaren Behälter zu erhalten. Trinkwasser am Hafen vorhanden. Besichtigen das Städtchen, stromern durch maritime Antiquitätenläden (kaufen sogar etwas) und legen nach 4 Stunden wieder ab. Eine schöne Erinnerung. 2 sm vor dem Hafen werden wir von einem Schlauchboot gestoppt. Die englische Yachtsquadron (oder Royal Yachting Assoziation) weist sich aus und prüft Woher, Wohin und die Yachtpapiere. Da alles OK ist, dauert der Aufenthalt nicht lange. Leider wird auf unseren schwankenden Planken, wegen der geborgenen Segel, einer Sportkameradin der Yachtsquadron speiübel, ( die Fische haben gottseidank noch einmal das Nachsehen). Das Schlimmste kann vermieden werden! Bei Nacht passieren wir Isle of Man. Der Tidenhafen von Douglas, die Ebbe und die Zeitnot verhindern eine Landung. Sch.....! Am Sonnabend den 8.7. gegen 1330 Uhr erreichen wir Holyhead. Der ansässige Yachtclub sorgt dafür, daß man von den Moorings an Land und zurück kommt. Eine Stadtbesichtigung von 3,5 Stunden schließt sich an. Für Fahrten ins Landesinnere reicht die Zeit nicht, um einen Eindruck von Holyhead zu bekommen, reicht sie aus. Mit dem nächsten geplanten Hafen Fishguard geht es uns wie mit Douglas, kein Kommentar. Land liegt aber allerorten , das nächste, das wir ansteuern, sind die Scilly’s. Logbucheintrag am 10.7. 0400 Uhr:“Wind E 6-7, super Segelei, die Maschine rast mit acht Knuppen nach Süden“. Am 10.7. gegen 1600 Uhr erreichen wir den Hafen von St. Mary und ankern in der Bucht. Hinter uns liegen 240 sm herrlicher Segelei unter allen möglichen Segeln von Groß mit Spi bis Fock mit 2 Großreffs. Schade nur, daß Rasmus den Wind immer Nachts schickt und damit die Refferei ständig zwischen 2400 und 0400 Uhr abläuft. Die Besichtigung St. Mary’s mit seiner Vegetation (Palmen und subtropische Pflanzen) beeindruckt uns sehr. Leider reicht die Zeit für die Besichtigung des Parks auf Tresko nicht. Als Entschädigung haben wir uns Bildmaterial in der Touristeninformation besorgt. Vor Lands End erwischt es uns grob. Wir messen 23 m/s (9Bft) aus SSW. Da der Wind achterlich einfällt, bemerken wir den Schaden zu spät. Das Reffen wird Schwerstarbeit.

2 Großreffs und Wechsel auf die Sturmfock lassen das Schiff wieder wie auf der Schiene Laufen. 8 kn der Heimat entgegen, was sind da ein paar Eimer Wasser über den Kopf und abgebrochene Fingernägel? Auf jeden fall haben wir dem alten Mann ein Ohr abgesegelt. Als nächster Hafen war eigentlich Plymouth geplant. Wir leisten uns zusätzlich Falmouth. Beeindruckend die vielen Yachten vor Mooring’s, besonders die historischen gaffel-getakelten offenen Jollen, oder sind es Kielboote; mit phantastisch langen Sprietbäumen und Großbäumen. Auffallend die Offshore-Industrie, die diese Stadt sicher gewaltig aufgebläht hat. Beim Auslaufen reißt unser dritter Mann, der Autohelm 1000 die Hufe hoch.

Nach Plymouth also per Hand gesteuert. In welcher Marina ist der Service? Wir haben die richtige Nase, in der Mayflower Marina, in der wir anlegen; sitzen die Fachleute. Autohelm und UPS vereint sichern uns nach 20 Stunden ein repariertes Gerät. Genügend Zeit, um Plymouth ausgiebig zu besichtigen. Dies ist auch ausdrücklich zu empfehlen. Am Donnerstag den 13.7. 1200 Uhr geht es weiter zum Mekka der Regattasegler: Cowes. Doch zunächst geht es an Portland Bill vorbei. Das Wasser um uns kocht. Wellenrichtung und eigene Fahrt sind nicht abschätzbar, 2 m hohe Wasserfontainen türmen sich plötzlich neben dem Schiff auf und stürzen wieder in sich zusammen. Ein Werk der Gezeitenströmung, der Untiefen und der Nehrströmung. Ähnliches hatten wir schon vor Lizzard Point beobachtet und trafen wir bei den Needles vor Isle of Wight an. Stückweise mit 12 kn laufen wir in Richtung Cowes, 6 kn durchs Wasser und 6 kn Strom, Schnellreisende. Cowes Yachthafen erreichen wir am 14.7. 11.30 Uhr. Leinen fest und los geht es in das Städtchen. Die Vorbereitungen für die Cowes-Week laufen bereits, da gibt es viel zu bestaunen. Die ersten Racer trainieren bereits, andere treffen ein, wieder andere stehen als Rohbauten an Land und werden von Riggern vorbereitet. Das bringt Atmosphäre, da kribbelt es einem in den Fingern mitzutun. 30 Jahre jünger und dies wäre kein Thema. Ansonsten würde ich Cowes respektlos vom Fluidum her mit Warnemünde vergleichen, Vergleiche hinken bekanntlich immer. Rundgang durch die Stadt, der obligatorische Pub-Besuch, Überlegungen eine von den Messing-Startkanonen für den eigenen Verein zu stibitzen, ich wäre ja so gerne noch geblieben, aber.....Um 15.30 Uhr heißt es wieder Leinen Los. Mit achterlichen Winden passieren wir Brigton und Newhaven. Eigentliches Ziel ist Dover. Dover wird zugunsten der holländischen Küste gestrichen. Bei achterlichem Wind und Sonnenschein kreuzen wir die Verkehrstrennungsgebiete des Kanals, bei Flaute, Nacht oder gar Nebel ein gefährliches Abenteuer. Teilweise 6 Frachter fahren parallel in eine Richtung, Wahnsinn! Vor Calais erreichen wir die französisch Küste. Bis Nieuwport in Belgien treibt uns der Wind am 15.7. noch. Gegen 22.00 Uhr liegt das Städtchen wie ausgestorben da. Wir beschließen einen Kneipenbummel. 7 Lokale mit insgesamt 20 Gästen sind das Fazit. Wo stecken die Nieuwporter? Im Hafen schlafen, welch ein Luxus. Am 16.7. geht es weiter Richtung Heimat. Die belgische und deutsche Küste geben uns nicht sehr viel, die flachen Erhebungen sind von See kaum zu sehen. Es weht immer noch achterlich. Wir erreichen vor Texel ein Etmal von 140 sm, super, teilweise 8 kn gelaufen!

Eintrag ins Logbuch durch Egon: „Mittag gegessen, vorzeitiger Wachwechsel, weil es augenblicklich stürmt und regnet, das richtige Wetter für den Herrn Kapitän! Prost! Der freut sich (er singt) und segelt mit den Frachtern in der Fahrrinne um die Wette.“

Am 18.7. wird der Frachterverkehr dichter, die Elbemündung kündigt sich an. Einmal Glück, immer Glück, in die Elbe strömt es ab Roter Sand ein, die Schleuse Brunsbüttel steht offen, Feierabend ist an der Schleuse Gieselau. Nach Kiel-Holtenau treibt uns der Wind immer noch vor sich her. Vor der Fehmarnsund-Brücke habe ich Wache. Spi-Wetter, ziehe sofort den Lappen hoch, immer angeseilt versteht sich. Der Wind legt zu und ändert die Richtung, muß 3 x halsen, auch wegen der Richtung des Fahrwassers. In der späten Dämmerung laufen mir zwei Yachten unter Motor entgegen. Alle Crewmitglieder suchen, wie es scheint, in dem Tonnengewirr die Hafeneinfahrt nach..... mich müssen sie für den fliegenden Holländer mit Rauschebart gehalten haben.

Bis vor die Oi haben wir „Ferien“. Dann bläst es uns mit 1-2 Bft entgegen, das Eisensegel bringt uns über Swinemünde nach Stettin. Hier wird der Mast gelegt für die Überführung nach Berlin.
Die Westoder, die Friedrichstaler Wasserstraße, der Oder-Hafel-Kanal und die Berliner Gewässer tragen uns in unseren Heimathafen Berlin - Karolinenhof. Am 23. 7. 1800 Uhr liegen wir fest im Hafen vertäut. Ein Jubelempfang durch die Sportfreunde unseres Vereins „Wassersport-Verein 1921“ setzt einen würdigen Schlußpunkt hinter ein fantastisches und sportlich interessantes Erlebnis.

Zu danken ist dem Kartenlieferanten Bade u. Hornig für die freundliche Beratung, prompte Lieferung und preisliche Gestaltung. Die Fa. Ferropilot stellte kurz vor der Abreise für einen defekten Satellitennavigator und einen elektr. Kompaß kostenlos Ersatzgeräte, auch dafür herzlichen Dank!

An nautischen Unterlagen wurden verwendet:

Englische Sportbootkarten IC1 bis IC9 und IC23, 24, 30, 31, 52, 58, 60, 61, 62, 63, 64, 65

Niederländische Sportbootkarten NL1801, NL1811, NL1812

Übersegler D1001, D1002, BA2675, BA1123, BA1121, BA2635

Gezeitentafel, Naut. Funkd., Naut. Jahrb.,Yachtpilot

Seehandbücher BSH2006, 2007, 2008, 2017, 2019,

Macmillan, Lights Vol.A

  

Jockel Lehmann, Egon Gaerisch

17.08.1995