Grönland 1997


Karolinenhof - Grönland und zurück - 8900 km Segeln in 9 Wochen

Zu Vorwendezeiten sah man, wenn alle Boote bereits ihr Winterquartier bezogen hatten, noch im November auf der Dahme, dem Langen oder Seddinsee ein Segel blinken. Die Vierteltonner Yacht "Kreuz As" zog einsam ihre Bahn. Nicht wenigen Spaziergängern, bereits in dicke Wintermäntel gehüllt, fröstelte bei diesem Anblick. Nicht so dem Skipper Jörg "Jockel" Lehmann - Vereinsvorsitzender des WSV 1921 e.V. - und seiner Crew.

Sie lieben das raue, herbe Klima. Jockel Lehmann und seine Freunde machten bereits zu DDR-Zeiten mit "Kreuz As" in den damals möglichen Ostseehäfen der DDR, Polens und der Sowjetunuion fest. Daneben baute der Selfmademan an einem neuen, größeren Boot, das 1987 seine Taufe erlebte und natürlich wieder "Kreuz As" mit dem Zusatz "alu" für Aluminium, denn daraus besteht der Rumpf.

Die Wende ließ viele Fernwehträume in den Bereich der Realität rücken. Jockels Traum - mit dem Segelboot nach Grönland - nahm mehr und mehr Gestalt an. Erste Stufe auf dem Weg dahin war ein 30-tägiger "Rund England Törn" im Jahre 1995, auf dem bereits ein gerüttelt Maß an Erfahrungen für das Grönlandprojekt gesammelt wurden und auf der "Kreuz As alu" seine Eignung nachwies.

Am 22. Mai 1997, ein Jahr Planung und Vorbereitung lagen hinter ihnen, legte er mit seinen Wegbegleitern Egon Gaerisch und Uwe Lange im Wassersport Verein 1921 in Karolinenhof ab - Ziel Grönland. Umfangreiche Ergänzungen der Technik an Bord, notwendig für eine Seereise in den hohen Norden, waren vorgenommen worden. Wasser, Verpflegung und Diesel für neun Wochen waren verstaut.
Zunächst ging es nach Hamburg, wo am 31. Mal die Leinen dann endgültig losgeworfen wurden. Über Helgoland erreichte man nach fünf Tagen Wick in Schottland. Von da zu den Orkney-Inseln ist es nur ein Katzensprung. Bis hierher kannte die Crew auch die Gewässer von ihrem England-Törn. Ohne großen Aufenthalt ging es bereits am nächsten Tag mit dem Ziel Shetland-Inseln weiter.
Im Logbuch wird festgehalten: "7-8 Knoten Fahrt durchs Wasser, über Grund kein Vorwärtskommen. Mit derartigem Gegenstrom in Nord-Süd-Richtung haben wir nicht gerechnet! Nach einer Stunde kapitulieren wir und nehmen den Motor zu Hilfe, um durch die Meerenge zu kommen. Die Überfahrt ist ziemlich stürmisch. Das zweite Großreff und Sturmfock sind angesagt. Nach sechzehn Stunden Segelei können wir um 24 Uhr in Lerwick Leinen fest melden."
Am 10. Juni um fünf Uhr wurde den Shetlands ade gesagt. Prima Wetterbedingungen mit Sonnenschein trugen dazu bei, daß am
11. Juni die Faröer-Inseln erreicht wurden.
Seemanns Braut ist die See! - Getreu diesem Wahlspruch ging es nach einer touristischen Kurzerschließung der Faröers weiter in Richtung Vestmannaeyar, einer kleinen Insel vor Island. Auf dem Weg dorthin spielte das Wetter verrückt - Sturm und Flaute. Ständiges Segelwechseln war angesagt.

Vor Ingolfshöfdi, der Südwestseite von Island, ließ sich wieder Land ausmachen. Bald grüßten gletscherbedeckte Berge die kleine Yacht aus Berlin-Köpenick. Auch der erste Kontakt zu Walen war ein nachhaltiges Erlebnis!

Am 17. Juni, nach fünf Tagen mit vielen Kreuzkursen bei wechselnden Winden, die der Crew viel abverlangt, war das Ziel, die Vestmannayear, erreicht. Da die Insel nicht viel bietet, wurde der Hafen wieder verlassen, um das nächste Ziel - Reykjavik, die Hauptstadt Islands anzulaufen.

Nach einer schwierigen Hafenausfahrt, der Wind stand genau darauf zu, aber dann günstigen Raumschotwinden machten die Karolinenhofer am 18. Juni um 22 Uhr in Reykjavik fest. Es war taghell, dunkel wurde es nicht mehr.

Fünf Tage versuchte die Crew, alle Sehenswürdigkeiten Islands zu erkunden. Der mächtigste Wasserfall Islands, Gulfoss, das Geysirgebiet Skogafoss und die Myrdalsgletscher waren ihre Ziele. 1700 Kilometer an zwei Tagen mit einem PKW, auf Straßen die eigentlich nur für Jeeps geeignet sind, schufen eine Vielzahl von Eindrücken, die aber insgesamt nur ein Überblick bleiben konnten und den Wunsch nach Wiederkehr mit mehr Zeit wach werden ließen.

Am 23. Juni stach die Mannschaft wieder in See, nicht ohne vorher die aktuellen Eisstände vor Grönland erkundet zu haben. Am Kap Farvel, hier waren zwei Keile aus siebzig Zentimeter dickem Eis gemeldet, schien eine Chance zu bestehen, Grönland betreten zu können. In der Bucht tummelten sich Wale, Orkas, Delphine - ein phantastisches Schauspiel, das aber bald achteraus zurückblieb.

Nach zwei Tagen schlug das Wetter um. Wind aus SW, also von vorn, mit Stärke 6-7, in Spitzen 9. Die Wellen waren fünf bis sechs Meter hoch. Die Wassertemperatur lag um sechs bis vier Grad Celsius, im Schiff tagsüber die gleichen Temperaturen, nachts, obwohl hell, vier Grad. Alles war naß und kalt, auch die Schlafsäcke. Unterwäsche. zwei Faserpelzanzüge übereinander, Fleecegesichtsmaske, Handschuhe, Skibrille - das war die Normalkleidung!
Montag, 30. Juni, 25 Meilen vor Kap Farvel: erster Eiskontakt!
Die Sicht war so schlecht, daß die nächste Scholle ab nächstem Wellenberg zu sehen war. Die Eisdichte nahm schnell zu. Das Risiko, von einem Eisklumpen getroffen zu werden, wurde immer größer.
Die nächsten fünf Tage soll dieser Sturm anhalten, so lauteten die Wettervorhersagen.
Nach ausführlicher Beratung fällte die Mannschaft den Entschluß, von einer Landung auf Grönland abzusehen - nicht einfach, so kurz vor dem Ziel.
Nach vierzehn Tagen Richtung Süden schlief der Wind vor Irland ein. Mit Motorhilfe wurde der aus den Admiralsregatten bekannte und für Segler legendäre Fastnet Rock gerundet. Jockel und seine Kameraden steckten, nachdem die Grönlandlandung nicht geglückt ist, die neue Zielstellung ab. Sie werden allen Ländern, die auf dem Heimatkurs liegen, einen Besuch abstatten, um zu Hause eine schöne Gastlandflaggenparade zeigen zu können.

Nach 4700 Seemeilen, rund 8900 Kilometer, und 62 Reisetagen, davon achtzehn Hafentagen, wurden Jockel, Egon und Uwe am 1. Juli am Heimatsteg des WSV 1921 von ihren Sportkameraden mit Böllerschüssen und Hurra empfangen.
Der längste Törn von Köpenicker Wassersportlern auf eigenem Kiel ist glücklich zu Ende gegangen.

Jockel Lehmann und seine Gefährten waren sicher nicht zum letzten Mal unterwegs - neue Ziele sind schon im Visier.